Das Gesundheitswesen in Deutschland hat im historischen und internationalen Vergleich einen hohen Leistungsstand erreicht. Dieser Standard, mehr aber noch die Nutzung neuer kostenintensiver Behandlungsmöglichkeiten, wird durch die Entwicklung der Gesundheitsausgaben und deren Auswirkungen auf die Beitragssätze bedroht. Nur wenige Länder auf der Welt verfügen über eine vergleichbare soziale Absicherung ihrer Bevölkerung.
Ca. 20% der Erwerbstätigen in Deutschland sind ganz oder teilweise im Gesundheitswesen beschäftigt. In knapp 600 gesetzlichen Krankenkassen arbeiten 150.000 Mitarbeiter. Mit 2.200 Krankenhäusern verfügen wir über eine stationäre Versorgung, die in Europa ihresgleichen sucht. 290.000 Ärzte bieten ihre Dienste an. Ebenfalls Europarekord. In kaum einem anderen Land steht ein ähnlicher Gerätepark zur Verfügung. Die Gesamtleistungen des Gesundheitswesens belaufen sich auf 550.000.000.000 DM (281 Milliarden Euro). Seit 1970 ist der Anteil der Gesundheitsfürsorge an der gesamten Volkswirtschaft von 6,3% auf 10,7% gestiegen. Lediglich die USA übertreffen diesen Wert im Weltmaßstab.
Die Gesundheit der Menschen wird allgemein als wichtiges Gut geschätzt und eine angemessene Zahlungsbereitschaft für Dienstleistungen im Gesundheitswesen liegt vor. Die bewusste Zahlungsbereitschaft wird jedoch durch die häufig als kostenlos empfundene Rundum-Absicherung mit Gesundheitsdienstleistungen, vor allem beim gesetzlich versicherten Patienten, eingeschränkt, welcher heute in der Regel in völliger Unkenntnis der Behandlungskosten "konsumiert".
Die Zahlungsbereitschaft wächst überproportional mit dem weiter zunehmenden Wohlstand und Bewusstsein der Gesellschaft und ihrer Mitglieder. Die notwendigen Mittel kommen aus dem steigenden Einkommen der Bevölkerung.
Die Gesellschaft hat sich an den hohen, kaum zu überbietenden Standard gewöhnt.
Die wenig erfreuliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung mit einer dauerhaften Arbeitslosigkeit um die Viermillionengrenze, rückläufige Steuereinnahmen, Aufwendungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und zusätzliche Aufgaben im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft haben die Staatsverschuldung Deutschlands an die Grenze der Belastbarkeit getrieben. Jede vierte Steuermark dient zur Bedienung der Zinsen Tendenz steigend.
Die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung hat sich bereits seit den 80er Jahren gravierend verändert. Die Zahl der unter 21Jährigen liegt nur noch bei 21,5%. Über ein Fünftel der Bevölkerung ist älter als 60 Jahre. In den nächsten Jahrzehnten verstärkt sich dieser Trend. Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Verminderte Einnahmen und erhöhte Ausgaben des Sozialwesens sind die Konsequenz dieser Entwicklung.
Die Ursachen der Probleme liegen nicht nur darin begründet, dass soziale Elemente in das System eingebaut wurden, sondern gerade daran, dass die Entscheidungen über Angebot und Nachfrage praktisch in einer Hand liegen. Bewusst wurde bisher aus sozialpolitischen Motiven auf marktübliche Steuerungselemente verzichtet.
Die Kosten werden in Form von Beiträgen gedeckt, welche weder nach versicherungsmathematischen Grundsätzen noch nach klaren sozialen Merkmalen ermittelt werden.
Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ergibt sich aus einem schwer bzw. undurchschaubaren Zusammenwirken von bilateralen Verhandlungen und politischen Vorgaben. Die generelle Knappheit der verfügbaren Mittel gebietet jedoch stets, deren optimaler Einsatz nach maximalen Nutzenstiftungsgesichtspunkten. In der freien Wirtschaft dient der optimale Einsatz von Mitteln dem (über) lebenswichtigen Postulat zur Erreichung eines Ziels: Maximierung des Gewinns.
Der freie Wettbewerb reguliert ein System in der Praxis völlig selbständig. Aufgabe des Staates ist lediglich die Definition der Rahmenbedingungen und die Überwachung der Einhaltung dieser Bedingungen in Bezug auf Übertritte. Kein noch so perfektioniertes planwirtschaftliches System vermag auch nur annähernd ähnliches zu leisten.
Das Gesundheitswesen entzieht sich jedoch weitgehend dem notwendigen Steuerungsprozess durch Angebot und Nachfrage. Eine optimale Allokation (Zuweisung von finanziellen Mitteln, Produktivkräften und Material), wie sie sich in anderen wettbewerbsintensiven Märkten automatisch einstellt, ist nicht gegeben. Aufwand und Nutzen klaffen teilweise stark auseinander. |
Unvereinbar mit dem Ziel, die Krankenversicherungen dauerhaft
finanzierbar zu gestalten, erscheint der Anspruch auf eine
medizinische Versorgung nach dem jeweils neuesten Stand ohne
Abwägung der dadurch entstehenden Kosten.
Für die medizinische Versorgung gilt im allgemeinen wie für jedes andere Gut, dass zusätzliche Leistungen nur noch einen stets abnehmenden Grenznutzen stiften. Zudem schreitet der medizinischtechnische Fortschritt mit einem solchen Tempo voran, dass es - abgesehen von kostensparenden Neuerungen -ausgeschlossen ist, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, welche nur noch marginal den Gesundheitszustand verbessern oder potenziell das Leben verlängern.
Der Anspruch auf eine jeweils bestmögliche und gleichzeitig solidarisch finanzierte medizinische Versorgung ist angesichts der nahezu unbegrenzten Behandlungsmöglichkeiten nicht erfüllbar. Die Gesellschaft kommt letztlich nicht an der Beantwortung der Frage vorbei, wer über die Begrenzung des Aufwands bei solidarisch finanzierter Versorgung entscheiden soll.
Kostendämpfungsversuche und Ausgabendeckelung sind Ausdruck dieser Entscheidungsnot, jedoch keine Strategie, die grundlegenden Probleme nachhaltig zu lösen.
Ein weiterer wichtiger Zusammenhang besteht in der lohnbezogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Mit jeder Beitragserhöhung steigen die Lohnzusatzkosten. Es wird immer schwieriger, den Beschäftigungsstand zu halten oder gar auszuweiten. Umgekehrt schrumpft mit zunehmender Arbeitslosigkeit und Verkürzung der Arbeitszeiten die Basis für die Einnahmen. Zusätzlicher Druck hin zu Beitragssatzerhöhungen entsteht. Ein Ausweg aus dieser Spirale muss gefunden werden.
Die Illusion der zukünftigen Finanzierbarkeit über zusätzliche Steuermittel (Mehrwertsteuererhöhung, Ökosteuer usw.) wird von politischen Demagogen gepflegt, denen jeglicher Sachverstand über mikro- und makroökonomische Zusammenhänge abhanden gekommen scheint.
In der Krankenversicherung soll ein Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Reichen und Armen sowie kinderlosen und kinderreichen Familien bewältigt werden. Die Beiträge orientieren sich nicht an dem Krankheitsrisiko, sondern innerhalb der Bemessungsgrenzen nach der Höhe des Lohnes. Ehegatten und Kinder ohne eigenes Einkommen sind beitragsfrei mitversichert. Die sich ergebenden Umverteilungswirkungen orientieren sich nicht hinreichend an der wirtschaftlichen und sozialen Situation des Einzelnen, Vermögen bleibt zum Beispiel unberücksichtigt.
Um die sozialen Ziele nicht durch ungerechtfertigte Mitnahmeeffekte zu gefährden, wird zu erklären sein, ob die gesetzliche Krankenversicherung überhaupt mit sozialen Aufgaben belastet oder zu einem reinen Versicherungssystem mit ergänzenden, separat organisiertem Solidarausgleich umgestaltet werden sollte. Jedenfalls gehen von der bestehenden Regelung, die wie eine Steuer auf abhängige Beschäftigung wirkt, erhebliche Anreize aus, sich der Beitragsbelastung zu entziehen, ohne auf Leistungen aus der Versicherung zu verzichten.
Ziel einer grundlegenden Umgestaltung des Gesundheitswesens muss die Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus bei gleichzeitiger Implementierung marktwirtschaftlicher Regelungsmechanismen sein. Die Eigenverantwortung des Individuums muss gestärkt, staatliche Intervention und Verteilungslenkung auf ein notwendiges Minimum reduziert werden. Die Deregulierung des Gesundheitswesens ist unumgänglich. Der Hintergrund ist vor allem, wie zuvor bereits makroökonomisch beschrieben, wirtschaftlicher Natur:
Staatliche Anbieter und staatliche Verteilungssysteme sind vielfach ineffizient, reagieren nicht flexibel genug auf aktuelle Entwicklungen und sind vor allem aufgrund des fehlenden Wettbewerbs zu teuer. Dass Wettbewerb im Bereich ehemaliger öffentlicher Monopole zu qualitativ besseren und zugleich preisgünstigeren Leistungen führt, hat die Deregulierung und Privatisierung auf den Gebieten der Telekommunikation und in den Anfängen der Energiewirtschaft eindrucksvoll vor Augen geführt. Vor diesem Hintergrund erscheint der Wettbewerb als Leitbild der modernen Dienstleistungsgesellschaft zu Beginn des neuen Jahrtausends.
Es funktioniert auf Dauer nicht, dass 60jährige, "auf der Höhe ihrer Versorgungslage" mit satten Pensionen, schuldenfrei und vermögend das Siebenfache der Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen im Vergleich zu den Jüngeren, die den Großteil der Beiträge zahlen. |